Should I stay or should I go? Warum es sich nicht lohnt zu bleiben!
Should I stay or should I go, © Frank-Thorsten Moll, 2024
#WhiteDudes4Harris war ein Account auf X (ehemals Twitter), der in kürzester Zeit mehrere Millionen Dollar an Wahlkampfspenden für die angehende Präsidentschaftskandidatin der Demokraten gesammelt hatte. Genauso schnell, wie der Account an Reichweite gewann, wurde er dann auch gesperrt. Der Account ist auf X (Stand: 1. August 2024) nicht mehr erreichbar. Damit wurde eine weitere demokratische Stimme auf X mundtot gemacht. Doch damit nicht genug. Wenige Tage zuvor war durch ein Leak bekannt geworden, dass X seinen ultrarechten Accounts Privilegien einräumt, die Ihnen qua Algorithmus so ziemlich alles durchgehen lässt, was man vor dem Kauf Twitters durch Elon Musk, noch als Verletzung der Community-Richtlinien eingestuft hätte. X ist damit ganz eindeutig zu einem Propagandawerkzeug der extremen Rechten geworden.
Diejenigen, die nach den diversen Austrittswellen immer noch auf X geblieben sind, begründen ihr Bleiben mit dem Argument den Rechten die Plattform nicht kampflos überlassen zu wollen. Das klingt ehrenhaft, wäre es sicher auch, wenn ihr Kampf um Meinungshoheit(?) oder zumindest eine Form von Meinungspluralität (!) nicht schon längst verloren wäre und ihr Bleiben nicht auf einer grundsätzlichen Fehlannahme beruhte. Warum das so ist? Weil die Grundannahme bei X habe es sich jemals um einen „öffentlichen Raum“, eine Agora der Meinungsbildung gehandelt, unter Umständen (so zumindest mein Eindruck) komplett falsch ist. X, wie jede andere Social-Media-Plattform ist kein Marktplatz der Meinungen. Es ging nie um soziale Aspekte, sondern immer nur um wirtschaftliche Aspekte des spätkapitalistischen Systems, das mit BigTech und Social Media in eine Phase eingetreten ist, indem es nicht mehr um Inhalte, sondern allein um Marktdominanz, Werbung und letztlich um Geld geht. Manipulation ist von Beginn an das Hauptwerkzeug der Plattformanbieter:innen. Die Karten dieses perversen Spiels liegen schon lange offen auf dem Tisch. Jede:r kennt sie, jede:r hat die Berichte über Wähler:innenmanipulation (Cambridge Analytica) und andere Sauereien zur Kenntnis genommen und jede:r weiß, dass die Plattformen alles an manipulativen Mitteln aufbieten, um ihre User:innen, wie Drogenabhängige, auf ihren Plattformen zu halten. Solange und so ausschließlich, wie es irgendwie nur geht. Dass man dies durch die Kultivierung von Streit und das Schüren von Hass besser erreicht, als durch respektvolle Diskussion ist längst erwiesen und wird von allen Plattformen effektiv umgesetzt. Üble Nachrede, Hate Speech, Verunglimpfung, sexuelle Online-Gewalt, Stalking etc. war nicht der Feind, sondern das Mittel des rasanten Aufstiegs dieser Plattformen. Aktiv wurde man:frau nur dann, wenn der Staat sich einmischte und mit Strafen drohte. Statt AI-Modelle zu trainieren, um die Verbreitung von derlei Inhalten im Keim zu ersticken, setzte man:man lieber auf unterbezahlte Content-Moderator:innen in zumeist asiatischen Ländern, die sich händisch durch die Berge an digitaler Sch***e wühlen mussten. Fazit: Social Media ist ein dreckiges Geschäft, das dem organisierten Drogenhandel sehr ähnlich ist. Das Medium, das einst als die Nachricht selbst verstanden wurde (the medium is the message), ist krank – wenn nicht gar schon fast tot. Und wir? Wir bleiben und denken es handle sich um einen heroischen Akt, dabei handelt es sich oft um pure Faulheit (ich spreche hier für mich selbst, denn ich habe meine FB und Instagram-Accounts immer noch nicht gelöscht, nur deaktiviert) Fantasielosigkeit und eine kulturell tief verankerte Angst etwas zu verpassen (FOMO – Fear of missing out).
Was wären die Alternativen? Was wäre vernünftig zu tun? Ich denke, wir müssen beginnen die Plattformen, als das zu verstehen, was sie sind. Sie sind im Grunde nichts anderes als große Kneipen, in denen sich zwar grundsätzlich jede:r niederlassen kann und jede:r mit jeder:m in Gespräch kommen kann, aber deren Besitzer:innen zunehmend offen zur extremen Rechten tendieren. Sie unterstützen vornehmlich republikanische Kandidat:innen, äußern sich antidemokratisch und offen menschenverachtend und setzen Rassismus, Sexismus und Gewalt auf ihren Plattformen immer weniger entgegen. Viel schlimmer ist, dass sie ihre wirtschaftliche und damit politische Macht nutzen, um die Pfeiler der Demokratie, mehr und mehr zu schleifen. Big Tech im Jahre 2024 ist antidemokratisch! Um aber zunächst im gewählten Bild zu bleiben, stellt sich die Frage, ob sie in eine Kneipe, in der sie als Nicht-weisse:r, Nicht- Heterosexuelle:r, nicht binäre, aber dafür demokratische, rationale und liberale Person schlechter bedient werden, als der Nazi neben ihnen, ein Ort wäre, den sie immer wieder besuchen würden? Die Antwort wäre sicher ein klares Nein! Warum tun wir dann aber genau das im digitalen Raum? Die logische Konsequenz wäre doch, einfach die Kneipe zu wechseln und andere davon zu überzeugen, auch nicht mehr dahinzugehen. Es mangelt an Alternativen? Weit gefehlt. Es gibt Alternativen wie Bluesky, Mastodon, Friendica.
Sicherlich ist auch dort nicht alles perfekt. Und auch dort findet Rassismus und Ausgrenzung statt. Mastodon, um nur eine mögliche Alternative zu nennen, ist ebenfalls mehrheitlich weiß, männlich und hetero-normativ und sieht sich daher vermehrt berichtigten Vorwürfen der LGTBQ- und POC-Gemeinde ausgesetzt, deren Mastodon-Erfahrungen eben nicht frei von Ausgrenzung und Diskriminierung ist. Aber Mastodon erlaubt immerhin jedem:r den Diskurs und die Mitarbeit an einer besseren Zukunft. Jede:r kann eine Instanz betreiben. Sollte das nicht ausreichen noch mehr Leute dazu zu bewegen Facebook, Instagram, TikTok und X den Rücken zu kehren und aktiv an einer besseren Form der wirklich sozialen Interaktion im digitalen Raum zu arbeiten?
FOMO sollte kein Grund sein zu bleiben und Rassismus, Hass und Intoleranz kann man nicht mit Gegenrede ausmerzen, wenn diese Gegenrede strukturell verunmöglicht wird (siehe WhiteDudes4Harris). Fazit: Es lohnt nicht auf Insta, Facebook, TikTok und X zu bleiben. Die Plattformen sind verloren und die Rechten dort sind es ebenfalls. Lasst sie dort wo sie sind und schließt euch einfach existierenden Plattformen an oder schafft einfach neue!
PS: Anleitungen, wie man seine Leute von X und Co. auf Mastodon wiederfindet, gibt es zu Hauf!
— Frank-Thorsten Moll, 2024 —