Gmailalgorithmen – die vergesslichen Einbrecher?!

Gmail-Roboter beim Sichten von Fotos, © Frank-Thorsten Moll, 2022

Die Diskussion über Gmail als besonders invasiven und die Privatsphäre ihrer Kunden nicht respektierenden Onlinedienst ist genauso lang, wie vielsagend.

Die Meldungen, dass einzelne US-Senator:innen sich gegen Gmail aussprechen und aktiv gegen den Anbieter vorgehen, zeigt einen Wandel in der Art und Weise, wie solche Themen in den USA angegangen werden.

Das war nicht immer so! Betrachtet man die Geschichte der politischen Auseinandersetzung mit Gmail einmal genauer, so zeigt sich an ihr ganz exemplarisch, wie unterschiedlich die Auffassung vom Recht auf Privatsphäre bei den jeweiligen Akteur:innen ausgeprägt ist. Die Vertreter:innen der großen Plattformen (Google, Meta, Amazon) argumentieren meistens, dass, was die Gegenseite „Verletzung der Privatsphäre“ nennt, eigentlich nur servicerelevante und vom Kunden in den AGBs akzeptierte Maßnahmen sind, die einzig und allein zur Qualitätssteigerung ihrer Produkte diene.

Die Politik verweist auf ein Maß an Datengenerierung, das an Spionage erinnere und durch keine AGB ernsthaft gedeckt sein kann, da sie wesentliche Rechte der Nutzer:innen mit Füßen trete.

In einer der ersten Verfahren gegen Gmail soll es einmal zu einem Treffen zwischen den Gründern von Google und einer Senatorin gekommen sein. Diese wollte mit ihnen über die Sammelwut der Google-Algorithmen im Allgemeinen und die Auswertung privater E-Mail-Kommunikation im Besonderen sprechen. Hierbei soll es zu einem denkwürdigen Dialog gekommen sein, den ich wie folgt paraphrasieren würde. (Über sachdienliche Hinweise, um wen es sich dabei gehandelt hat, wäre ich sehr dankbar, denn ich habe in meinem Zettelkasten und im Internet nicht die richtigen „Knöpfe“ gedrückt, um dies korrekt zu zitieren!)

Um die Politikerin von der Bedenkenlosigkeit seiner Algorithmen zu überzeugen, erzählte ihr Larry Page von folgendem Szenario, das er offenbar für vollkommen unschuldig und bedenkenlos hielt. Man könne sich den Gmail-Algorithmus wie einen Roboter vorstellen, der bei Kund:innen zu Hause erscheine und ganz diskret alle Schubladen öffnete, ihre Briefe lese und in Fotoalben stöbere, nur um sie besser zu verstehen, und ihnen dadurch besser zu Diensten sein zu können. In dem Moment, in dem der Roboter wieder ihr Haus verlasse, vergesse dieser alles, was er in der Wohnung gesehen, gelesen und gehört habe, sofort wieder. Ob dies nicht vollkommen okay sei? NEIN, war die entrüstete Antwort der Politikerin.

Die zwei Auffassungen von Privatsphäre, die hier aufeinandertrafen, könnten unterschiedlicher nicht sein. Es offenbart sich hier ganz deutlich, dass die Autoren besonders mächtiger Algorithmen, die klar sichtbaren Schattenseiten ihrer Schöpfungen oftmals einfach nicht sehen wollen. So eine Art Frankenstein-Effekt. Offenkundig überwiegt der Stolz auf das gelungene Produkt, oder der Glaube daran, dass die Erfüllung einer bestimmten Aufgabe über allem anderen steht.

Diese Einstellung hat meines Erachtens viel mit der Kultur des Silicon Valleys zu tun, wo ein nur oberflächlich, mit Versatzstücken der Hippiekultur bestreuselter Aggro-Kapitalismus gelebt wird, der nur den:die aggressive:n Unternehmertypus und den:die produktverliebte:n Programmierer:in kennt. Dass die Verletzung der Privatsphäre nicht nur fest in die Erfolgsgeschichten großer Tech-Unternehmen eingeschrieben ist – ist evident. Dass der Begriff der Privatsphäre jedoch aufs engste mit seiner Verletzung verbunden ist, muss man sich dabei aber auch immer wieder vor Augen führen. (Vgl. mit diesem Text)

Ohne die wiederholte und aktenkundige Verletzung unserer Rechte auf Privatsphäre, müssten wir gar nicht überlegen, wie diese im digitalen Zeitalter aussehen müsste.

Das Problem könnte demnach nicht nur im Silicon Valley allein liegen, sondern vielmehr in einem Fehlen einer neuen Kultur, die den Code zum Erfolg von Tech-Startups derart umprogrammiert, dass der Schutz der Privatsphäre von Beginn an Teil der Unternehmensstrategie ist. Kommerzielle Open-Source Anbieter, die den Schutz der Privatsphäre aktiv betreiben, wie z.b. ghost.org und Initiativen wie Mastodon lassen hoffen, dass dieser Wandel kurz bevor steht.

Frank-Thorsten Moll, 2024

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