Should I stay or should I go and boycott?
Should I stay or should I go and boycott?, © Frank-Thorsten Moll, 2025
Eine Revision nach acht Monaten ist eigentlich ein zum Scheitern verurteiltes Blogformat. Entweder man überführt sich selbst ein Thema nicht in Gänze verstanden zu haben, oder man zeigt, dass die eigene Analyse einfach nicht sehr weit gedacht war. Beides ist nichtbtoll, aber ich mache es jetzt einfach trotzdem. Und sei es, um so zu tun, als ob „Recht haben“ keine erstrebenswerte Kategorie im öffentlichen Diskurs sei.
Was war passiert? Mein letzter Text vom 1. August 2024 drehte sich um die Frage, ob es noch einen Nutzen haben kann, auf X (ehemals Twitter) zu bleiben, um dem immer lauter werdenden rechten Gegröle auf dieser Plattform, Paroli zu bieten, oder ein Terrain, das bisher zur Meinungsbildung wichtig gewesen war, nicht einfach kampflos aufzugeben. Viele wohlmeinende X-User:innen rechtfertigten ihr Bleiben mit diesem Argument und zeugten trotzige Kampfbereitschaft. Man wolle den Rechten das Feld, bzw. die Diskurshoheit nicht kampflos überlassen. Meine Antwort darauf war ganz einfach. Ich war der festen Überzeugung, dass es Zeit ist zu gehen, X für immer hinter sich zu lassen und sich nicht ein einziges mal wehmütig umzuschauen, sondern auf anderen Plattformen (am besten auf Mastodon) einen wohlgesinnten und pluralistischen Diskurs unter Demokrat:innen zu pflegen. Ein Bleiben hielt ich für unsinnig, weil die Stimmen der Faschist:innen und Hater:innen durch die Plattform selbst verstärkt werden und dort wo Krawall und Haß zum Geschäftsmodell geworden ist wäre es dumm zu bleiben.
Aktuell stellt sich die halbe Welt bereits ganz andere Frage. Nicht das Bleiben oder Gehen, sondern das Boykottieren oder nicht boykottieren dominiert die Diskussion. Welche Produkte, fragt man sich, können abgesehen von Tesla noch boykottiert werden, um der demokratieschädlichen Kraft des techno-feudalistischen Silicon Valleys mit ihren Kumpanen von MAGA so viel von dem zu nehmen, was sie am liebsten haben: Unermessliche Macht durch unermessliche Mengen an Geld?!
Bei Tesla scheint es ja aktuell zu klappen. Seit der Amtsübernahme Trumps und der damit einhergehenden Einsetzung Elon Musks als obersten Berater der DOGE-Abteilung fiel der Wert einer Tesla Aktie von 411,50 EUR auf 223,60 EUR (Stand: 15. April 2025). Dies entspricht einem Verlust von 45,66 %. Und selbst wenn es sich dabei um markttypische “Bereinigungen” einer einst überbewerteten Aktie handeln sollte, so dürfte es auch den marktliberalsten Beobachter:innen schwerfallen, da keinen Zusammenhang zwischen den Boykottaufrufen, den Absatzrückgängen und dem Aktienkurs zu sehen. Und siehe da, Musk kündigt seinen Rückzug auf Raten bei seiner Effizienzbehörde an, um wieder mehr Zeit für TESLA zu haben.
Viele sehen darin einen Erfolg und noch mehr Menschen geht das jedoch noch nicht weit genug. Es formiert sich ein Widerstand gegen Produkte und Dienstleistungen aus den USA, der in der Breite und Vehemenz so noch nicht da gewesen ist. Seine Ernsthaftigkeit speist sich aus den verschiedensten Quellen. War der bisherige Antiamerikanismus noch zumeist Ausdruck einer identitätspolitischen, militärischen, kulturellen oder ideologischen Kränkung, so ist der aktuell durchs Internet wabernde Antiamerikanismus etwas gänzlich Neues. Anders als zuvor ist er eine direkte Reaktion auf eine ganz konkrete als ungerecht empfundene US-Politik die konsensfähig unter weiten Teilen der Bevölkerung ist. Ähnlich wie vielleicht zuletzt beim Vietnamkrieg.
Diese Anschlussfähigkeit ist hoffnungsstiftend und gefährlich zugleich, denn sie wird bereits vielfältig von evenfalls abzulehnenden Bewegungen und Interessen gekapert. Da gibt es die Großmachtfantast:innen, die Europa als das wahre Zentrum der Welt re-installieren möchten, die Identitätsfanatiker:innen, die die Vormacht der US-Kulturindustrie brechen möchten und leider immer noch viel zu wenige digitale Freiheitsrechtler:innen, die schon seit Jahren, die von jeder Moral befreite und raubtierhaft agierende Kultur des Silicon Valley anprangern. Endlich finden diese Stimmen ein wenig Gehör könnte man sagen. Aber zu welchem Preis.
Wie formiert sich der Widerstand, gegen Trump und Co.? Die Online-Community „BuyFromEU“ auf Reddit zählt über 200.000 Mitglieder. Sie tauschen sich darüber aus, wie man US-Produkte durch europäische Alternativprodukte ersetzen kann. Auch auf der Webseite goeuropean.org findet man Alternativen zu den bekanntesten US-Produkten wie Coca-Cola, Apple-Smartphones und Nike-Schuhe. Sogar eine Browsererweiterung soll dabei helfen europäischen Produkten den Vorzug zu geben. Ich habe diese seit wenigen Wochen installiert und finde es kommen tatsächlich gute Hinweise dabei zustande. Die slowenische Dropbox-Alternative koofr.eu zum Beispiel.
Die lautesten Stimmen kommen, wie so oft, aus Frankreich, wo eine antikapitalistische und anti-markt-liberale Kultur die vielleicht stärkste Ausprägung innerhalb Europas aufweist. Sie werden als direkte Reaktion auf die Zollpolitik Trumps und als Ausdruck der Ablehnung seiner menschenverachtenden Politik gegen die sogenannten “illegalen Migrant:innen” interpretiert, formieren sich als klassische Gegenreaktion jedoch selbst als im im Kern nationalistisch. Auf Facebook werden Gruppen laut wie „Boycott USA, Buy French!“. Für diejenigen, die sich an diesem Nationalismus stören, gibt es dann den Account “BOYCOTT USA: Achetez Francais et Europeen!“. Kauft in Frankreich und in Europa!
Was mich vielleicht am meisten an diesen Boycottaufrufen stört ist ihr inhärent pro-kapitalistischer Ansatz, der nicht den Konsum selbst als Problem, sondern nur das Land der Produktion anprangert. Doch was ist mit US-Firmen, die selbst Stellung gegen die aktuelle Politik beziehen? Sollte man diese nicht gezielt durch Kaufen ihrer Waren fördern? Wo ist die Plattform, die die Firmen nach ihrer moralischen, ökologischen und ethischen Grundhaltung und nicht nach dem Land ihres Firmensitzes bewerten? Wäre es nicht viel sinnvoller diejenigen Firmen mit unserem Geld zu belohnen, die anständig wirtschaften?
Ein solcher Ansatz verfolgte z.B das norwegische Unternehmen Haltbakk Bunkers, das bisher auch US-Marineschiffe betankt hatte und nach der Wahl Trumps ankündigte, die Treibstofflieferung an Schiffe der US-Marine mit sofortiger Wirkung einzustellen. Meines Wissens lag ein Flugzeugträger mehrere Tage vor Anker, bis eine andere Firma sich erbarmte. Respekt Haltbakk Bunkers kann ich da nur sagen – ihr steht ganz oben auf meiner Liste, sollte ich mal Schweröl für meinen Tanker brauchen! Hier wurde nicht einfach nur eine Firma boykottiert, sondern der militätische Arm eines ganzen Staates.
Wer bis hier gelesen hat, merkt schon, ich möchte mich hier für einen Boykott von Firmen nicht von Staaten und für einen differenzierten Blick auf das zu boykottierende Unternehmen aussprechen. Denn wer denkt seinen Sitz in der Schweiz zu haben, mache eine Firma zu einer automatisch besseren als ihr Konkurent aus den USA hat den Kaputalismus nicht verstanden. Gestärkt werden sollten ja gerade die Firmen, die sich auch schon vor der zweiten Amtszeit von Trump an Regeln hielten, auf das Wohl ihrer Mitarbeiter:innen achteten, und versuchten der Umwelt und ihren Kund:innen nicht zu schaden. Das wahrhaft frustrierende ist, wie wenige solcher Firmen es gibt und wie schwer sie zu finden sind.
— Frank-Thorsten Moll, 2025 —